Bericht von der Informationsveranstaltung am 16.02.09 von Peter Pechmann

 

Peter Pechmann

Bericht von der Bürgerinformationsveranstaltung über das geplante Indus­trie­gebiet im Natberger Feld am 16. Februar 2009 in der Aula der Schule in Bissendorf.

 

Keine Frage, das Thema ist ernst. Zu ernst, um in der Glosse zu landen. Aber das Thema, von dem hier berichtet werden soll, ist gleichzeitig so bitter, dass es zur Verdauung ein wenig literarische Versüßung nötig zu haben scheint. Bitter nötig.

Okay, worum geht’s? Es geht um Lokalpolitik, um wirtschaftliche Macht, um hohe Ideale (oder zumindest um hochgehaltene Ideale), um gesetzliche Bestimmungen und wie man sich dahinter verstecken kann. Kurzum, eine Geschichte, die fast so schön und genau so schlimm ist wie das richtige Leben.

Der Vorhang geht auf, man sieht ein Podium mit drei vollbärtigen Männern auf der linken und fünf ohne Bart auf der rechten Seite. Alle schauen freundlich drein, lediglich der zweite von rechts schließt manchmal für lange Zeit seine Augen und scheint seltsam abwesend zu sein. Dabei ist dieser Mann doch die Hauptfigur. Denkt sich jedenfalls das interessierte Publikum, denn dieser Mann wird ihm als der Unternehmer Heinrich Koch junior vorgestellt, der für sein Unternehmen eine geeignete Gewerbefläche sucht und sie in der Gemeinde Bissendorf gefunden haben will. Dieser Unternehmer will nun 20 Mio. € in die Hand nehmen, in Bissendorf investieren und dort seine Spedition etablieren.

Das findet der Bissendorfer Bürgermeister ganz toll, und damit kommen wir zu der zweiten Hauptfigur, die sich im Laufe der Veranstaltung immer stärker als die eigentlich erste herausstellt. Denn der Bürgermeister legt sich mächtig ins Zeug und präsentiert sich als der eigentliche Handlungsträger dieses Stückes. Er erteilt Rederecht, er bestimmt die Handlung, er kommentiert, beurteilt, er ermuntert oder beschwichtigt. Als handlungstragende Figur präsentiert der Bürgermeister dann auch einen ersten Höhepunkt des Abends: Bei der kritischen Andeutung, dass er nicht wieder gewählt werden würde, wenn sich seine Politik weiterhin gegen die Bürger richten würde, reagiert er sehr theatralisch, sehr ärgerlich und protestiert mit großer Vehemenz: er würde sich nicht erpressen und seine Vorstellungen von richtiger Politik nicht von Drohungen beeinflussen lassen.

Eine starke Szene, aber gleichzeitig ein schwaches Argument, bedeutet es doch, dass der Bürgermeister wirklich und tatsächlich bereit ist, Politik auch gegen den Willen seiner Bürger zu machen. Die Szene besticht aber durch ihre herausragende Dramaturgie, denn sie ermöglicht einen Blick in das Innere der Figur des Bürgermeisters und wir erfahren, dass sein innerstes Ziel nicht der Konsens mit seinen Bürgern, sondern Kampf und Durchsetzen seiner Überzeugung ist.

Ein aufrechter Charakter also, so scheint es.

Trotzdem fliegt mein Herz ihm nicht zu. Das meiner Begleiterin auch nicht. Und die Herzen des restlichen Publikums scheinen da auch gewisse Hemmungen zu haben. Denn man kann trotz der theatralischen Pose seine bekundete Aufrichtigkeit irgendwie nicht wirklich ernst nehmen, dafür argumentiert er einfach viel zu gut. Er hat seinen Text zu gut gelernt, er ist ein Profi, er macht keine Fehler. Nein, nein, nein, als Sympathieträger funktioniert diese Figur nun wirklich nicht, dazu ist sie viel zu wenig gebrochen, viel zu glatt, viel zu sicher. Ihr fehlt die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung, sie hat keine Ahnung davon, wie schwer Entscheidungen fallen könne, wie grob das Leben mit einem umspringen kann, wie schnell man Opfer fremder oder – viel schlimmer – von eigenen Vorstellungen wird und wie schwer man sich von ihnen befreien kann. Die Figur des Bürgermeisters repräsentiert den „winner“, den „Macher“, der, dem immer alles gelingt, und wenn doch einmal etwas nicht gelingt, dann wird es halt so lange umgedeutet, bis es doch gelungen ist. Man kennt solche Figuren. Leider.

Die Position des Sympathieträgers, des hilflosen Opfers, ja, fast schon Märtyrers übernimmt dagegen ein junger Mann aus dem Publikum. Mit erstickter Stimme berichtet er, dass die beiden oben genannten Protagonisten (Bürgermeister und Unternehmer) sich auf seine Kosten bereichern, dass deren Pläne ungerührt die Vernichtung des elterlichen Hofes einbeziehen, dass seine Existenz vernichtet würde und dass das eine Riesensauerei sei. Jedenfalls will er das sagen. Aber er will auch sachlich bleiben und rational. Das gelingt ihm aber nun überhaupt nicht und er verheddert sich ganz fürchterlich bei seinem hilflosen Versuch, bei dem ganzen Drama, das über ihn hereinbricht, sein Gesicht zu wahren. Was ihn sofort zum Held des Abends werden, und sogar den aufrechten Bürgermeister einen Moment lang weich werden lässt.

Damit ist dann auch endlich das eigentliche Thema der Veranstaltung formuliert: Im guten Glauben, das Richtige zu tun, reißt der Bürgermeister Unschuldige ins Elend. Er jongliert routiniert mit den Vokabeln: „Arbeitsplätze“, „Zukunft“, „höheres Interesse der Allgemeinheit“, klingt dabei aber ein wenig so wie ein verärgerter Dompteur, kurz bevor er zur Peitsche greift. Da­runter leidet natürlich seine Ausstattung mit gutem Glauben ein wenig, aber lassen wir ihn einfach trotzdem mal drin (im guten Glauben), denn sonst wäre dieses schöne Stück ja kein darstellungswürdiges Drama mehr, sondern ein mehr oder weniger einfacher Interessenskonflikt mit lediglich unterschiedlicher Machtverteilung. Die Menge der reingerissenen Unschuldigen erweitert sich dann noch im Laufe des Abends ganz erheblich, denn die direkt Betroffenen beklagen direkte Wertverluste, die indirekt Betroffenen indirekte, und das sind nahezu alle, eigentlich sogar noch mehr, denn es sind auch Gäste aus den umliegenden Gemeinden anwesend. Die Frontstellung ist somit klar: der agile Bürgermeister und der von Müdigkeit geplagte Unternehmer auf der einen Seite, die (mehr oder weniger stark) ge- und betroffene Bevölkerung auf der andern.

Es folgen dann verschiedene Auftritte von Nebenfiguren und Stereotypen, die den Spannungsbogen verlängern und ein wenig Farbe in den Abend bringen sollen. Sehr herauszuheben ist da der Auftritt des Rechtsanwalts Andrés, der eigentlich die Interessen des oben erwähnten wehrlosen Opfers vertreten soll, aber eine derart unangenehme, fiese und schleimige Anbiederung an dessen Gegner vornimmt, dass man dem Regisseur dieser Szene mit Fug und Recht übertrieben grobe Geschmacklosigkeit vorwerfen muss.

Anzumerken sind auch die drei bärtigen Gesellen, die sich hinter dem Planungsrecht wie die drei berühmten Affen verstecken, und die von einem einfallslosen Maskenbildner auch noch genau so präsentiert werden.

Oder die tragische (Rand-)Figur: der (Bissendorfer?) Stadtplaner, der sich aus der bisherigen Diskussion nur die Randthemen herauspflückt (oder herauspflücken darf), zum Kern des Konfliktes aber nichts zu sagen hat, und der nach einer rüden aber berechtigten Abfuhr aus dem Publikum dem Rest der Veranstaltung lediglich mit beleidigter Mine folgt.

Oder der ebenso tragische, in seiner Verblendung sogar noch viel erbarmungswürdigere jung-dynamische Vertreter der Klientelpolitik des Landkreises, der die Standorttreue der Osnabrücker Familienunternehmen betont und gleichzeitig damit droht, dass diese Unternehmen ruckzuck in andere Regionen abwandern würden, wenn die Bürger nicht bereit seien, Einschränkungen durch ebendiese Unternehmen hinzunehmen.

Aber trotz dieser amüsanten Besetzung kann das Stück leider den Spannungsbogen nicht halten und verflacht am Ende irgend­wie. Oder anders ausgedrückt: der Konflikt ist zwar schön herausgearbeitet, die Haupt- und Randfiguren sind sehr plastisch, die Fragestellung präzise. Allein, es fehlt die Katharsis, die „Reinigung“, es gibt keine Erkenntnis, kein Resultat, keine Moral von der Geschicht. Die beiden Gegenpositionen bewegen sich nicht mehr von der Stelle, das Stück endet somit eigentlich gar nicht, es hört nur auf, es gibt keine Saalschlacht, aber auch kein Happy End, kein dramatisches Aufbäumen, keine Einigung. Alles bleibt offen, keiner setzt sich durch, jede Seite mauert sich ein, es deutet alles auf eine Belagerung hin, man wirft der Gegenseite Fehler vor und versucht, eigene zu vermeiden. So bleibt das Ende merkwürdig offen, das Publikum geht enttäuscht nach Hause und fragt sich, was das denn nun eigentlich gewesen sei.

Ja, was haben wir nun gesehen?

Schwer zu sagen. Der Rezensent fühlte sich streckenweise wie auf einer Werbeverkaufsfahrt, in der viele Menschen in einem Bus zusammengepfercht einem ominösen Ziel entgegenfahren, währenddessen sie von den Vorteilen einer elektrischen Rheuma­decke überzeugt werden. Der quirlige Verkäufer preist seine kuschelige Ware an, die wirklich und ganz ehrlich nur aus lauter Vorteilen besteht, und die nur noch hier und jetzt und dann nie wieder zu erwerben sei, während man fröstelnd im Bus sitzt, weil der übermüdete Busfahrer angekündigt hat, die Heizung abzudrehen, wenn wir nicht endlich diese hübsch gemusterten Rheumadecken kaufen würden. Einige unermüdliche Mitfahrer streiten sich mit dem Werbeverkaufsheini über seine tollen Decken, die dann doch anscheinend mit dem ein oder anderen Mangel behaftet sind, aber man kommt nicht ans Ziel. Man sieht es nicht mal.

Oder ist das schon das Ziel?


Und hier ein Bericht mit anderen Schwerpunktsetzungen der gleichen Veranstaltung