Ist das Kultur oder kann das weg?

Auseinandersetzung um Baudenkmal eskaliert

In den letzten Tagen ist die Auseinandersetzung um das Baudenkmal auf der ehemaligen Hofstelle Große Ostendarp in Natbergen heftig eskaliert. Auslöser ist ein Artikel der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) vom 4.05.2023 (s.u., oder online 27.4.2023), der behauptet, Zeugen hätten in einer Gerichtsverhandlung falsch ausgesagt und wir – die BI Schönes Natbergen – würden manipulative Fotos und falsche Behauptungen auf unserer Homepage veröffentlichen.

Was steckt hinter den Anschuldigungen?

Die Gemeinde Bissendorf hatte am 12.12.2019 nach 11 Jahren mit teilweise tumultigen Auseinandersetz­ungen den B-Plan Nr. 150 „Natberger Feld“ beschlossen und 13 Hektar landwirtschaftliche Hof- und Ackerfläche zu Gewerbefläche bestimmt. Die Flächen wurden dann mit dem Auftrag an die Niedersächsische Landgesellschaft (NLG) weiterverkauft, sie baufertig zu erschließen. Bestandteil des Kaufs war auch ein Nebengebäude der Hofanlage, ein Speicher aus dem Jahr 1797, das als eingetragenes Baudenkmal gesetzlich geschützt ist und nicht abgerissen werden darf.

Als die nicht unter Denkmalschutz stehenden Gebäudeteile der Hofstelle mit schwerem Gerät abgerissen wurden, wurde am 6. April 2022 der Dachstuhl des unter Denkmalschutz stehenden Nebengebäudes beschädigt. Zeugen beteuern, ein Abrissbagger hätte den Dachstuhl eingerissen, die NLG hingegen behauptet, er sei aufgrund von Baufälligkeit von selbst bzw. durch Windeinwirkung eingestürzt.

Baudenkmal auf dem ehemaligen Hof Große Ostendarp am 6.4.2022
Baudenkmal auf dem ehemaligen Hof Große Ostendarp am 6.4.2022

Die NLG beantragte daraufhin die Streichung des beschädigten Gebäudes aus der niedersächsischen Denkmalliste, weil es nicht mehr „denkmalwürdig und denkmalfähig“ sei. Das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege kam nach einer Untersuchung zu einem anderen Schluss, woraufhin die Untere Denkmalschutzbehörde des Landkreises Osnabrück unter Androhung von Zwangsgeld (10.000,- €) sofortige Schutzmaßnahmen zum Erhalt des beschädigten Bauwerks anordnete.

Dagegen klagte die NLG und beantragte vorläufigen Rechtsschutz in einem Eilverfahren, um das Gebäude doch abreißen zu dürfen. Das Eilverfahren verlor sie in zwei Instanzen.

In dem Hauptverfahren am 18. April 2023 vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück wurde eine sorgfältige Beweisaufnahme durchgeführt, um die Ursache des Einsturzes zu ermitteln. Die Zeugen bestätigten, dass sie gesehen hätten, dass ein Bagger den Dachstuhl beschädigt hätte. Daraufhin zog die NLG ihre Klage zurück.

Mit dem Zeitungsartikel vom 4. Mai 2023 beschuldigt die NLG nun die Zeugen der bewussten Falschaussage und präsentiert zum Beweis ein Gutachten des Ingenieurbüros Ehlers-Unland vom 11. Mai 2022, das bei einer Ortsbegehung am 22. April 2022 festgestellt haben will, dass ein Sturm den Dachstuhl eingerissen hatte. Außerdem werden wir – die BI Schönes Natbergen – in dem Zeitungsartikel kritisiert, weil wir manipulative Bilder auf unserer Homepage veröffentlichen würden, bei denen Bagger und Bauwerk sich gefährlich nahe stehen würden. Die NLG behauptet, das sei eine optische Täuschung und der Bagger gar nicht in der Lage, den Dachstuhl zu zerstören, weil: „von dort aus konnte er den Dachstuhl des Speichers gar nicht erreichen“. Außerdem wird Bürgermeister Halfter zitiert, er fühle sich durch die „bewusste Falschaussage“ der Zeugen und unsere These, dass NLG und Gemeinde gemeinsam tabula rasa machen wollen, verleumdet.

Was ist dran, an den Beschuldigungen?

Leider stellt das Ingenieurbüro uns das Gutachten vom 11.5.2022 nicht zur Verfügung. Doch die Aussage, der Schaden des Dachstuhls sei Folge eines Sturms, ist nicht haltbar, denn das Gebäude wurde am 6. April 2022 beschädigt, an dem Tag gab es keinen Sturm (wie man z.B. am Bild oben erkennen kann). Wenn die gutachterliche Begehung vom 22. April 2022 Sturmschäden festgestellt hatte, dann waren es Schäden an einem bereits beschädigten Gebäude (oder wie der unsterbliche Dude es ausdrückte: „Du hast 'nen falschen Hasen statt 'nen falschen Hasen rausgeworfen“). Es geht aber um den Einsturz des Dachstuhls am 6. April, nicht um den weiteren Verfall des Verfalls.

Die Sturmschaden-Aussage ist ein Ablenkungsmanöver, ein Strohmann-Argument (straw man fallacy), das ein Argument zurückweist, das aber gar nicht vorgetragen worden ist und um das es auch gar nicht geht.

Außerdem stellt sich die Frage, warum die NLG das Gutachten nicht schon während der Gerichtsverhandlung am 18. April 2023 nutzte, um die angeblichen Falschaussagen direkt in der Verhandlung zu widerlegen, statt die Klage zurückzuziehen und hinterher mit einem Zeitungsartikel nachzutreten.

Was die angeblich manipulativen Fotos angeht, sind sie Folge von Betretungs­beschränkung und Einzäunung der Baustelle durch die Eigentümerin, der NLG. Daher musste von der Straße aus fotografiert werden. Dahinter steckt also keine böse Absicht, sondern schlichte Notwendigkeit. Wir haben auch nie behauptet, dass das „Tatfotos“ sind, was u.a. durch die Bildunterschrift deutlich wird, die die Fotos auf dem 7. April 2022 datiert, also ein Tag nach dem Schaden.

screenshot Homepage Schönes Natbergen mit Untertitel und deutlich sichtbarem Absperrgitter
screenshot Homepage Schönes Natbergen mit Untertitel und deutlich sichtbarem Absperrgitter

Daher ist die Behauptung „von dort aus konnte [der Bagger] den Dachstuhl des Speichers gar nicht erreichen“, ebenfalls ein Scheinargument, denn niemand hatte behauptet, dass der Bagger von dort aus den Dachstuhl zerstörte. Von anderen Positionen aus hätte er das aber sehr wohl gekonnt.

Da wir nicht wissen, wie die Zeugen auf die Anschuldigung der Falschaussage reagieren, haben wir unsererseits nach Zeugen gesucht und zwei weitere Personen gefunden, die zumindest die unmittelbare Nähe des Baggers am Baudenkmal bezeugen können, wobei das Gebäude vorher heile und nachher kaputt gewesen ist.

Insgesamt zeigt sich die NLG-Argumentation erstaunlich substanzlos und es stellt sich die Frage, warum NLG und Bürgermeister Halfter überhaupt eine solch angreifbare Attacke führen und sich dem Risiko aussetzen, dadurch selber Ziel von Verleumdungsklagen zu werden.

Eine mögliche Antwort mag darin liegen, dass der vorsätzliche Abriss eines Baudenkmals ein Straftatbestand ist, wie der vorsitzende Richter in der Verhandlung am 18. April 2023 betont hatte. Aufgrund der Zeugenaussagen müssen Denkmalpflege und Öffentlichkeit nun davon ausgehen, dass die NLG eine Straftat begangen hat und ein Strafverfahren beantragen. Was ganz erheblich negative Folgen für die Straftäter, also NLG und Beteiligte hätte. Um das zu vermeiden, stellt die NLG die Zeugen einfach als Lügner dar.

Doch mit der Aussage, von seiner eigentlichen Arbeit am Haupthaus aus („von dort aus“) habe der Bagger das Baudenkmal nicht erreichen können, wird auch deutlich, dass der Bagger nicht durch unabsichtliches Schwenken seines Greifarms zufällig an das Baudenkmal geraten sein kann. Um das Gebäude zu erreichen, muss der Bagger seine Position verändert und aktiv zu dem Baudenkmal hingefahren sein, obwohl seine Arbeit an anderer Stelle stattfand. Das macht man nicht zufällig! Das heißt, dass Fahrlässigkeit mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

Mit dem Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, hat sich die NLG die Schlinge selbst noch fester gezogen.

Worüber aber bei der ganzen Sache und auch im NOZ-Artikel überhaupt nicht geredet wurde, ist das Denkmal. Warum ist der Erhalt des Speichers so wichtig? Oder andersherum: Warum will die NLG ihn unbedingt weghaben?

Unabhängig von den konkreten Gründen, die das Institut für Denkmalpflege für den Erhalt anführt, ist es immer interessant und lehrreich, wie Gesellschaften mit ihrem Erbe umgehen. Besonders anschaulich wird das nach grundsätzlichen Umbrüchen. Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Deutschen keine Untertanen mehr, sondern freie und souveräne Bürger einer Republik. Das Kaiserreich war abgetreten, die Demokratie betrat die Bühne. Was Architekten und Bauherren vor die Entscheidung stellte, ob sie als freie Bürger anders bauen sollten als als kaiserliche Untertanen. Und was viele mit einem deutlichen Ja und dem „neuen bauen“ beantworteten, einer Hinwendung zur Moderne und einer sehr bewussten Abkehr von der vorherigen Baukunst.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine ähnliche Entwicklung. In Deutschland, dem „Täterland“, wollte niemand mehr an den Nationalsozialismus und seine Folgen erinnert werden. Auch nicht durch Architektur. In den 1950er bis 1970er Jahre wurde daher mit fast religiösem Eifer konsequent und radikal modernisiert. Altbauten galten als hässlich und unhygienisch, ganze Altstädte wurden abgerissen und „saniert“. Die „autogerechte Stadt“ wurde zur städtebaulich prägenden Ideologie, wirtschaftliche Interessen formierten das Land so radikal um, wie nie zuvor.

Heute fasst man sich an den Kopf, wie verblendet unsere Vorfahren doch mitunter waren und fragt sich, warum die unbedingt alles abreißen und neu bauen mussten. Heute müssen wir uns die Städte wieder mühsam zurück erobern. Und die Dörfer. Warum sind unsere Städte und Dörfer so hässlich geworden? Warum hat denn damals keiner aufgepasst?

Vor einigen Monaten verkündete der Kanzler eine „Zeitenwende“.

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NOZ-Artikel vom 4.5.2023
NOZ-Artikel vom 4.5.2023

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Kommentare: 9
  • #1

    E.H. (Sonntag, 21 Mai 2023 09:48)

    Bin ich jetzt zu blöd und finde die Frage aber die Antwort nicht? Warum wollen die unbedingt den Speicher weghaben?

  • #2

    Martina (Sonntag, 21 Mai 2023 13:48)

    Was für eine exzellente Zusammenfassung mit Fragen, die gestellt gehören.
    Die Antworten liegen auf der Hand, so möchte ich sagen. In diesen Zeiten werden Entscheidungen pro Wirtschaft getroffen - gleichgültig was die Bürger dazu sagen.
    Beginnt es aufzufallen, was kaschiert geschieht, werden die Medien bemüht, Darstellungen zu liefern, damit geglaubt wird, was geglaubt werden soll. Dumm nur, daß der Bürger so dumm nicht ist, alles zu glauben, was in Zeitungen geschrieben ist.

  • #3

    Al (Sonntag, 21 Mai 2023 14:45)

    @E.H.
    auch ich finde den Schluss jetzt ein bisschen sparsam. Ich erkläre mir die Antwort so dass die NLG eben nicht auf der Höhe der zeit ist. Sie steckt noch in den 60er Jahren fest, wo alles immer neu gemacht werden musste. Aktuelle Fragen zu Klimawandel, Artensterben, wirtschaftliche Abhängikeiten, gesellschaftliche Teilhabe etc. spielen keine Rolle. Die NLG ist ein Instrument der Vergangenheit, sie gehört abgeschafft!

  • #4

    brandgefährlich (Sonntag, 21 Mai 2023 18:35)

    Der NOZ-Artikel ist brandgefährlich. Weil er die staatliche Ordnung / Justiz angreift. Wie Trump, der in den USA entgegen alle Fakten behauptet dass er die Wahl gewonnen hat.
    Wenn die NLG der Meinung ist dass die Zeugenaussagen falsch sind muss sie vor Gericht dagegen vorgehen. Das kann sie, dazu leben wir in einem Rechtsstaat. Aber vor Gericht einknicken und hinterher durch die Presse zu verkünden: "Wir haben doch Recht!" zeigt grobes Unverständnis gegenüber gesellschaftliche Basisregeln.
    Ich kann der BI und den Zeugen nur dringend empfehlen dagegen anzugehen. Wenn das durchgeht wäre es ein Dammbruch.
    Und ich kann nur den Kopf schütteln über die NOZ. So eine Schweinerei zu veröffentlichen das geht gar nicht.

  • #5

    MIT (Sonntag, 21 Mai 2023 22:39)

    Ich stimme Ihnen voll und ganz zu, der Artikel rüttelt an unseren gesellschaftlichen Grundwerten. Wenn Zeugen vor Gericht anerkannt werden, sind sie anerkannt worden. Das nachträglich ändern zu wollen geht erstmal nicht, es wäre auch kein Fairplay. Die NLG ist ein schlechter Verlierer. Genau wie Trump.
    M.T.

  • #6

    waldmeister (Montag, 22 Mai 2023 18:18)

    wir haben hier 3 probleme.
    1. die nlg die fast nichts anderes macht als gewerbeflaechen erschliessen
    2. die noz die nichts anderes macht als das lied der regionalen obrigkeit nachzusingen
    3 ein buergermeister der nichts anderes macht als wirtschaft
    und alle 3 treffen auf das chinesische sprichwort "wer einen hammer hat sieht überall naegel"
    ist doch klar wohin das fuehrt.

  • #7

    H (Dienstag, 23 Mai 2023 19:49)

    @brandgefährlich
    Ja, der Artikel kratzt am gesellschaftlichen Konsens. In einem Rechtsstaat hat die Justiz das letzte Wort. Wer das nachträglich in Frage stellt, ist gefährlich. Das sollte auch der NOZ bewusst sein!
    Aber dieser Kurs besteht in Bissendorf schon länger. Ich weiß noch wie beleidigt unser Bürgermeister reagierte, als die BI androhte gegen seine Planung zu klagen und den Weggang von Solarlux damit verknüpfte und ihn so der BI in die Schuhe schob. Und ich weiß auch noch, dass das Natberger Feld angeblich auch für die Firma Balgenort-Lingemann geschaffen werden sollte. Der Sitz der Firma ist jetzt abgerissen. Scheint keinen mehr zu interessieren.

  • #8

    ... (Samstag, 27 Mai 2023 17:24)

    brandgefährlich, wie wahr!

  • #9

    Natürliche intelligenZ (Samstag, 17 Juni 2023 12:26)

    Die Menschheit entwickelt sich nicht immer geradlinig. Sie macht Vor- und Rückschritte. Zurzeit überwiegen die Rückschritte. Das liegt daran, dass sie sich an einer Wegscheide befindet. Geradeaus weiter führt ins Chaos, wo der Klimawandel mit seinen Folgen (Artensterben, Migration, Umbau der Wirtschaftssysteme etc.) wartet. Die alte Richtung ist also problematisch, neue Richtungen und deren Folgen stehen noch nicht fest. Fest steht aber, dass die Profiteure der alten Richtung nicht unbedingt die der neuen sein werden.
    Also wird gemauert. Das darf man jetzt auch durchaus wörtlich verstehen. Wer jetzt nicht sein Gewerbegebiet ins Trockene kriegt, schafft das in den nächsten Jahren erst recht nicht mehr.